Textilarbeit schafft Verbindung
Übersetzt man das spanische Wort „enlace“ ins Deutsche, so bedeutet es „Verbindung“. Damit trifft es genau den Geschäftskern der Mikrofinanzorganisation ENLACE SA de CV aus El Salvador. Seit 1998 bringt ENLACE Menschen zusammen, die ihre Lebenssituation durch selbständiges Arbeiten verbessern wollen und dafür Kapital benötigen. Von den 54.000 Kund*innen sind 80 Prozent Frauen, darunter viele, die im Textilbereich arbeiten. Wie das „Verbinden“ genau funktioniert, das fragten wir Generaldirektor Juan Carlos Flores sowie die Textilarbeiterin und Kundin von ENLACE Ana Gloria Cruz.
Interview: Dr. Maximilian Held und Ute Stefanie Haak
ENLACE ist einer der führenden Mikrofinanzdienstleister in El Salvador und dient den ärmsten Menschen des Landes. Was macht den Erfolg von ENLACE aus?
Flores: Das Geheimnis steckt in über 20 Jahren Erfahrung und in unserem Engagement als Institution. Wir eröffnen unseren Kund*innen nicht nur die Möglichkeit für Gruppenkredite: Mit unserer Bildungsarbeit unterstützen wir sie auch bei der Entwicklung ihrer Unternehmen und persönlichen Fähigkeiten.
Wie sieht eine solche Kreditgruppe typischerweise aus?
Flores: Die Anzahl der Mitglieder variiert, jedoch müssen sich mindestens drei Personen zusammenfinden. Im Durchschnitt bestehen die Kreditgruppen aus 30 Mitgliedern. Sie organisieren sich über einen Vorstand, um Kredite zu erhalten und in ihre Unternehmen zu investieren, die sich häufig in derselben Gemeinde oder demselben Gewerbegebiet befinden.
Geht die Zusammenarbeit in den Gruppen über die gegenseitige finanzielle Bürgschaft hinaus und wie kann ENLACE dabei unterstützen?
Flores: Ja, wir richten die Aufmerksamkeit auch auf andere Bedürfnisse der Kund*innen und ihrer Familien. So bieten wir Schulungen zur Stärkung unternehmerischer Fähigkeiten an. Damit sind unsere Kund*innen auch auf negative wirtschaftliche Entwicklungen vorbereitet und können sich für alternative Einkommensquellen entscheiden oder ihre Geschäftsfelder diversifizieren. Zudem unterstützen wir sie mit Bildungsangeboten zu Gesundheits- und Finanzthemen.
In welchem Ausmaß spielt der Textilbereich eine Rolle und welche Produkte umfasst er?
Flores: Der Textilsektor ist für ENLACE von größter Bedeutung, da er nicht nur einen Teil des kulturellen Erbes von El Salvador darstellt, sondern auch das wirtschaftliche Standbein vieler Familien ist. Deshalb unterstützt ENLACE Kund*innen dabei, wirtschaftliche Aktivitäten rund ums Nähen, Schneidern, Schustern sowie die Herstellung von Hängematten, Körben, Taschen, Stickereien und Lederwaren zu entwickeln.
Inwiefern profitieren Frauen im Textilbereich durch das Engagement von ENLACE?
Cruz: ENLACE hat von Anfang an die Türen für Frauen geöffnet, auch für diejenigen, die sich im Textilbereich engagieren wollen. Sie waren die ersten, die mir die Möglichkeit für meine unternehmerischen Tätigkeiten gaben, und sie haben mich immer unterstützt. Dank ihnen konnte ich mein Geschäft ausbauen, mein jüngster Sohn studiert an der Universität und ich konnte sogar einen Teil meines Hauses umgestalten.
Für welche Märkte produzieren Kundinnen von ENLACE?
Flores: Die Frauen stellen ihre Produkte selbst her und vermarkten sie, je nach Produktionsvolumen und Marktnachfrage, einzeln oder im Großhandel auf lokalen oder überregionalen Märkten.
Cruz: Ich vertreibe meine Produkte derzeit auf den Märkten von San Salvador, Sonsonate und Santa Ana. Zudem habe ich einen Kunden, der meine Produkte nach Honduras weiterverkauft.
Was unterscheidet die selbstständige Textilarbeit von der Beschäftigung in einer Großfabrik?
Cruz: Wenn man in Fabriken arbeitet, ist das Gehalt niedrig, die Anforderungen sind hoch und die Zeit, die man seiner Familie widmen kann, ist eingeschränkt. Diese Nachteile hat man als Selbstständige nicht.
Vor welchen Herausforderungen stehen die Frauen?
Flores: Auf dem Markt werden viele chinesische Produkte veräußert, die billiger sind. Das macht es oft kompliziert, wettbewerbsfähig zu sein.
Cruz: In meinem Fall war es am Anfang schwierig, auf dem Markt einen Kundenstamm aufzubauen. Ich habe gelernt, dass es sehr wichtig ist, Produkte von guter Qualität zu führen – und an mich selbst zu glauben.
Fotocredits: ENLACE